Was bedeutet der Digitalisierungsglaube in der Finanzdienstleistungsbranche für uns als Berater?



Mal ein persönliches Zukunftsthema: Wenn man all dem Theater Glauben schenken mag, das aktuell über das Thema Digitalisierung an uns herangetragen wird, dann sind wir als Berater in den nächsten fünf Jahren "über". 

Bedenkt, wen ihr fragt

(Gut für die Digitalisierungsverehrer, dass nicht Kunden, sondern meist tief Technik- und Zahlengläubige Versicherungsvorstände dazu befragt wurden...die eigentlich für ein "normales" persönliches Leben neben der Arbeit gar keine Zeit haben und fernab von allem im ihrem "Elfenbeinturm" leben).

Wenn Versicherungs- und Finanzberatung nichts ist, als seine Verträge zu verwalten und bei Bedarf einen unpersönlichen Ansprechpartner oder ein Programm, das Eventualitäten abbildet, zu haben, dann ist unsere Zeit (als mitmenschlicher Begleiter) ... vorbei.

Aber ist das so?

Heute Abend saß ich mit einem jungen Paar zusammen, das ein Kind erwartet. Was ist jetzt anders? Worauf muss ich achten? Welche Verträge sind betroffen und welche neuen Themen kommen auf uns zu? Das sind die grundsätzlichen Fragen.

Kann das ein Programm beantworten? Ja. Rein technisch ist das mit Sicherheit möglich. Eine gut programmierte AI (=Künstliche Intelligenz) könnte Antworten geben. Standardisiert. Oder auch individualisiert, wenn genug Daten vorliegen. Wenn ich all diese Daten einer anonymen Maschinerie gegeben habe. Meine Wünsche, meine Vorstellungen, meine gesamte Existenz.

Aber was die AI selbst dann nicht kann, ist das Nachvollziehen der persönlichen Situation des Kunden. Die Präferenzen, die schon immer unterschwellig da sind. Die aktuelle Gemütslage zu spüren und darauf einzugehen.

Eine AI liest nicht mit, was körpersprachlich passiert - noch weniger, als wir es in einer Online-Beratung spüren könnten. Bruchstücke (vielleicht), aber nicht das gesamte Bild.

Mag das irgendwann so kommen?

Mag sein, dass irgendwann ein Programm das schafft. Aber wenn es das schafft, sind wir in einer Situation, in der Menschen lieber mit Maschinen kommunizieren, ihr Leben, ihre Gefühle, ihre innersten Präferenzen lieber mit einer App teilen als mit einem persönlichen Ansprechpartner. 

Eine Situation, in der ein Mensch lieber mit einem Nichts aus Nullen und Einsen darüber spricht, was ihn antreibt und bewegt, als mit jemandem, der sein Leben und seine Erfahrungen teilt, diese nachvollziehen und spüren kann. Wie erschütternd das aussehen kann, kann man sich im Film "Her" intensiv ansehen.

Wenn diese Situation soweit ist, sind wir in einer Situation, in der "Wall-E" die Erde aufräumt und niemand mehr jemand anderen ernsthaft kennt, versteht oder für andere "da ist". In einer Situation, in der die Menschheit vereinsamt ist.

Ist deswegen das ganze digitale Brimborium sinnlos?

Ich denke nein. Die Welt wächst zusammen. Die Kunden informieren sich online, möchten mehr Flexibilität in der Kommunikation und bequemere Prozesse. Wie Online-Vertragsverwaltung oder Kommunikation über Quasi-Standards wie Whatsapp.

Und dieses ganze digitale Präsentieren? Naja, wer kein professionelles digitales Schaufenster hat, wird in Zukunft nicht existieren. Man informiert sich online - und wer nicht professionell online sichtbar ist, den gibt es nicht. Oder es gibt ihn und sein Schaufenster ist nur "Kraut und Rüben". Noch schlimmer.

Aber dennoch: Versicherungs- und Finanzfragen sind Fragen der Lebensplanung und meist keine Themen, die von Kundenseite aktiv angegangen werden. Es sind Themen, die von dritter Seite aufgebracht werden müssen. Von uns als Beratern der Kunden.

Die Mitbürger sind nicht informiert, welche Wahlmöglichkeiten es gibt, welche Risiken abzuwägen sind und welche Prioritäten sie außer Acht lassen. Das soll sich durch Apps und Co ändern? Das könnte sich höchstens durch neue Fächer ab der Grundschule ändern. Durch mehr finanzielle Allgemeinbildung. Was ohnehin wünschenswert wäre.

Informiert sein heißt nicht Handeln

Dazu kommt: Nur, weil eine App oder ein Call-Center-Agent sagt, dass da eine Rentenlücke besteht, entsteht noch lange kein Handlungsbedarf beim Kunden. Nur, weil eine App sagt, dass die Hinterbliebenen zu wenig Geld in der Tasche haben, wenn man versterben sollte, ist einem das noch nicht näher als das Handy der neuesten Generation in der Tasche zu haben.

Das mag sich ändern, wenn man jemanden vor sich hat, mit dem man über diese Themen sprechen kann, mit dem man diskutieren kann und der demselben Schicksal als Person, Familienvater und Mensch ausgeliefert ist. Dann mag man Denkweisen ändern. Wenn das beratende menschliche Gegenüber versteht, argumentieren und nachvollziehen kann.

Wenn Menschen nur logische Wesen wären (wie Spock) und die künstliche Intelligenz die Vielfalt der Möglichkeiten und die Individualität der Kunden erkennen könnte und es unwichtig wäre, mit einem Menschen oder einer Maschine sein Leben zu teilen, dann - und nur dann - könnte der aktuell herrschend Digitalisierungsglaube funktionieren.

Glaube ich persönlich daran? Nein.

Wir sind viel zu komplex. Unsere Eigenarten, unsere Einstellungen, unsere situationsbezogenen Eigenheiten. Das kann aktuell und wahrscheinlich auch nicht in wenigen Jahren - mal ganz abgesehen vom mitmenschlichen Faktor - keine AI leisten.

Aber eine weitere Frage: Wer würde diese ominöse AI anleiten? Wer würde ihr die aufgrund der erhobenen Daten gegebenen Empfehlungen eintrichtern? Eine Firma, deren Bestreben auf Gewinnmaximierung liegt? Irgendein Versicherer, eine Bank oder was auch immer? Oder eine Verbraucherzentrale, die so gefangen ist in ihren eigenen (kleingeistigen) Weltverstehersichten, dass sie auch in der fabelhaft-farbigen Welt der vielen Möglichkeiten nur ihrem schwarz-weißen Schachbrettmuster folgt?

Also: Wer?

Jemand, der mich nicht kennt. Jemand, der einen Algorithmus entwickelt hat, um Standards abzuarbeiten. Welche Standards? Mich. Und dich. Wir sind deren Standards. Deren Nullen und Einsen. Deren Profit. Sonst nichts.

Nachdenklich,

Euer Mark
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Gute Beratung gibt´s bei uns. Selbstverständlich auch Online.


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